Forscher erklären: So wird Olympia in München wirklich zum Wirtschafts-Booster

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Welche Folgen hätten Olympische Sommerspiele für München? Dieser Frage widmet sich eine brandneue Studie. Im Exklusiv-Interview erklären die Forscher, was es wirklich für gewinnbringende Spiele braucht.

München – Es ist nicht mehr lange hin: Bis zum 26. Oktober haben die Bewohner Münchens noch die Chance, an dem Bürgerentscheid zu einer möglichen Kandidatur für Olympische Spiele teilzunehmen. Besonders die wirtschaftlichen Folgen für die Stadt spielen für viele Wahlberechtigte eine zentrale Rolle bei ihrer Entscheidung. Um dabei ein Stückchen mehr Klarheit in die Debatte zu bringen, hat die Stadt München eine unabhängige Kurzanalyse der möglichen Wirtschaftsfolgen beim Beratungsarm des Zukunftsclusters MCube in Auftrag gegeben – mit spannenden Ergebnissen. Zwei der Hauptverantwortlichen dieser Studie, Oliver May-Beckmann und Dr. Daniel Schröder, gaben IPPEN.MEDIA dazu ein exklusives Interview.

Olympische Ringe über München: Am Sonntag, dem 26. Oktober, entscheiden die Bewohner der Stadt über eine Kandidatur für Olympische Sommerspiele in weniger als 20 Jahren.
Olympische Ringe über München: Am Sonntag, dem 26. Oktober, entscheiden die Bewohner der Stadt über eine Kandidatur für Olympische Sommerspiele in weniger als 20 Jahren. © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON

Herr May-Beckmann, Herr Dr. Schröder, die Stadt München möchte im Falle einer erfolgreichen Olympia-Kandidatur vor allem in die Infrastruktur investieren. Warum braucht die Stadt das?

May-Beckmann: Das ist ganz einfach: München wächst gerade wie kaum eine andere Stadt. Dabei bleibt der Raum, den wir zur Verfügung haben, jedoch nahezu gleich – deshalb braucht es clevere Infrastruktur-Maßnahmen, um dieser Entwicklung standhalten zu können. Dazu zählt zum Beispiel ein gutes ÖPNV-Netz, am besten mit zahlreichen Querverbindungen zwischen den einzelnen Stadtteilen, oder ein gutes Radverkehrsnetz. Mit möglichen olympischen Spielen hat das erstmal nicht viel zu tun, wir brauchen es als Stadt mittelfristig von alleine, um Wirtschaftswachstum und eine gute Lebensgrundlage beibehalten zu können.

Was hat dann aber Olympia mit diesen Projekten zu tun?

May-Beckmann: Die meisten Maßnahmen, die die Stadt in ihrem Olympiakonzept nennt, möchte sie auf lange Sicht ohnehin umsetzen. Olympia bietet da die Chance, die Umsetzung dieser stark zu beschleunigen. Das liegt zum einen an finanziellen Mitteln, die von Bund und Land zusätzlich fließen werden, sollte Olympia tatsächlich nach Bayern kommen. Zum anderen dürfte aber auch eine politische Priorisierung der Projekte erfolgen, was die Umsetzung massiv erleichtern dürfte.

Schröder: Ein Großteil dieser Maßnahmen unterstützt den Ausbau des ÖPNV in München. Je stärker wir diesen vorantreiben, desto besser. Wenn wir früher mit der Umsetzung von wichtigen Projekten anfangen, profitieren wir auch schneller von ihrem Nutzen. 

Wie groß ist denn der Nutzen, den wir durch diese Projekte erwarten dürften? 

Schröder: Ganz genau beziffern lässt sich das natürlich noch nicht. Wir gehen aber durchaus von Vorteilen im mehrstelligen Milliardenbereich aus, die sich aus der Umsetzung dieser Projekte ergeben könnten. 

Das ist aber eine sehr hohe Zahl, zumal der Bau dieser Projekte ja erstmal auch Geld kosten dürfte. Wie kommen Sie also auf Milliardenbeträge?

Schröder: Klar, zunächst einmal kosten diese Projekte in der Bauzeit eine Menge Geld. Der Ausbau des ÖPNV ist da ein gutes Beispiel: Nach aktuellem Kenntnisstand wird das mehrere Milliarden Euro kosten. Es wird dann etwas dauern, bis diese Ausgaben durch den Nutzen des Ausbaus wieder ausgeglichen werden, jedoch wird das hoffentlich kontinuierlich über viele Jahre hinweg passieren. In ganz anderen Fällen ermöglichen die Investitionen völlig neue Wertschöpfung: Wird das olympische Dorf nach den Spielen zu Wohnraum umfunktioniert, wirft es wohl für die nachfolgenden Jahrzehnte konstant Mieteinnahmen ab. Und erfüllt die Einführung der On-Demand-Shuttles ihre Erwartung, entsteht gleich ein ganz neues Geschäftsmodell, das für München langfristig Steuereinnahmen einbringt.

May-Beckmann: In einer etwas älteren Studie von MCube Consulting konnten wir feststellen, dass sich Investitionen in den ÖPNV in Deutschland im Schnitt im Verhältnis 3:1 rechnen. Das heißt: Für jeden Euro, den wir in den ÖPNV investieren, bekommt die Volkswirtschaft am Ende drei Euro heraus. Das erklärt sich dadurch, dass der ÖPNV auch mehr Wertschöpfung in anderen Branchen generiert: Zum Beispiel steigt der Wert einer Immobilie, wenn diese leichter öffentlich zu erreichen ist. Industrie siedelt sich an, weil Mitarbeitende einfacher an den Arbeitsort gelangen können. Diese Effekte können einen großen Vorteil bringen. 

Aber das heißt ja, dass diese positiven Effekte für Münchens Wirtschaft sich erst langfristig einstellen würden. Wie lange dürfte das dauern? 

May-Beckmann: Das hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, weshalb wir nur den Rahmen nennen können, in welchem sich das wahrscheinlich bewegen wird. Unsere Berechnungen deuten darauf hin, dass der Nutzen die Kosten der Projekte im besten Fall nach rund 20 Jahren überschreiten wird, wenn alle der 18 angekündigten baulichen Maßnahmen auch umgesetzt worden sind. Im schlechtesten Fall könnte das länger als 65 Jahre dauern.

Bis zu 65 Jahre? Das ist aber eine sehr lange Zeit. 

Schröder: Wie gesagt: Die meisten dieser Projekte will die Stadt auf lange Sicht ohnehin umsetzen. Die Kosten werden dann ebenfalls hoch sein, und es wird ebenfalls lange dauern, bis der Nutzen diese Kosten wieder ausgeglichen hat. Passiert das aber früher, stellt sich auch der Nutzen früher ein und generiert früher mehr volkswirtschaftlichen Mehrwert. 

May-Beckmann: Wir können natürlich nicht hellsehen, deshalb wissen wir nicht, ob und wann diese Projekte ohne Olympia umgesetzt werden würden. In unserer Studie beleuchten wir die Szenarien 10, 25 und 40 Jahre Verzögerung – und erkennen, dass sich der Nutzen der Projekte auch erst dementsprechend spät zeigen würde. Setzen wir sie nie um, fällt natürlich auch der Nutzen komplett weg.

Ist denn jedes geplante Projekt gleich sinnvoll? 

Schröder: Da gibt es schon Unterschiede. Manche Maßnahmen liefern große Chancen für die Volkswirtschaft, andere bergen auch große Risiken. Als gutes Beispiel können wir hier die U9 nennen: Mit vier Milliarden Euro geplanten Baukosten ist sie eine besonders teure Maßnahme, zudem gestaltet sich die Umsetzung wohl vergleichsweise schwer.

Ob sie einen positiven Effekt hat, hängt am Ende von der langfristigen Nachfrage ab, die wir heute noch nicht sicher abschätzen können. Deshalb empfehlen wir: Zuerst sollten sich die Planer auf kleinere, aber risikoarme, chancenreiche Projekte fokussieren, bevor sie die schwer abzuschätzenden Großprojekte angeht. 

Das ist MCube

MCube wird von der Technischen Universität München (TUM) geleitet und bringt dabei führende Mobilitätsexpertinnen und Mobilitätsexperten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, um zum breiten Bereich der Zukunft der Mobilität zu forschen und zu entwickeln. Dabei wird es stark vom BMFTR (Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt) gefördert. Der Beratungsarm MCube Consulting unterstützt mit wissenschaftlichen Methoden Kunden aus der Industrie und dem öffentlichen Sektor.

Die im Text behandelte Studie „Kurzanalyse zur Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Olympia-Bewerbung 20XX in München“ unter der Leitung des Projektteams Dr. Daniel Schröder und Felix Waldner ist unter dem Link https://mcube-cluster.de/mcube-consulting-studie-lhm-olympia-bewerbung/ zu finden.

Welche risikoarmen, aber chancenreiche Projekte meinen Sie da? 

Schröder: Der Ausbau der Radschnellverbindungen zum Beispiel. Das kostet vergleichsweise wenig, bietet aber vor allem mit Blick auf die Mobilitätswende weg vom Auto große Chancen. Auch die Begrünung öffentlicher Flächen oder die Errichtung von weitläufigen Parkmeilen zählen wir dazu.

May-Beckmann: Ich will jedoch ergänzen, dass eine Stadt nicht nur mit kleinen Projekten wachsen kann. Ein vergleichsweise einfacher Tram-Ausbau kostet zwar weniger, aber die Vorteile eines U-Bahn-Ausbaus liegen trotzdem auf der Hand: Sie kann einfach mehr Menschen transportieren. Deshalb braucht die Stadt auf lange Sicht im Grunde beides. 

Nochmal zur Studie selbst: Hier nennen Sie neben den Milliarden-Chancen auch gleichzeitig ein milliardenschweres Verlustrisiko durch Olympische Spiele. Ein absolutes Schreckenszenario – wie könnte man das verhindern?

Schröder: Dafür haben wir in der Auswertung der Studienergebnisse fünf Empfehlungen zusammengefasst. Zunächst einmal sollte Olympia auch wirklich dafür genutzt werden, bereits geplante Projekte durch neue Gelder und politische Priorisierung voranzutreiben. Zudem sollten kleinere, schnelle und risikoarme Projekte im Fokus der Stadt stehen, wie zum Beispiel der Ausbau der Tram oder des Radverkehrsnetzes. Drittens sollten die Sportstätten nachhaltig geplant werden, was in München dank bereits bestehender Infrastruktur gut möglich sein dürfte. 

May-Beckmann: Außerdem muss die Kommunikation im Vordergrund stehen. Die Verantwortlichen sollten ehrlich und transparent über die Kosten und Folgen der einzelnen Projekte aufklären. So kann ermöglicht werden, dass die Menschen auch die Chancen und Vorteile der Maßnahmen begreifen und diese unterstützen. Und zum Schluss: Zur effizienten Steuerung sollte man auch über ein sogenanntes „Olympia-Gesetz“ nachdenken. 

Ein Olympia-Gesetz – was wäre das? 

May-Beckmann: Das Ziel dieses Gesetzes wäre es, den Bau der Projekte zu beschleunigen. Dazu zählt der Abbau von Bürokratie, aber auch die Priorisierung dieser Maßnahmen in der Verwaltung. Das heißt, dass jedes für Olympia relevante Projekt zuvorderst angegangen wird - so wird es dann sicher rechtzeitig zum Start der Spiele fertig.

Interview geführt von Leon Fasse