FOCUS online: Herr Jäger, ist Wladimir Putin schuld daran, dass die USA der Ukraine doch keine Tomahawk-Marschflugkörper liefern?
Thomas Jäger: Trump hat die Lieferung der Tomahawk als Drohung gegenüber Russland benutzt, um Putin gesprächsbereit zu machen. Ob er wirklich liefern wollte, bleibt offen. Doch Putin hat die Drohung umgekehrt: Warum, so fragte er Trump, sollen die amerikanisch-russischen Beziehungen beschädigt werden, wenn die Tomahawk militärisch sowieso nichts ändern? Indem Putin gleichzeitig Gesprächsbereitschaft simulierte und ein rasches Treffen vereinbart wurde, sind die Marschflugkörper zumindest bis zu dem Treffen kein Thema mehr.
Im September sprach Trump noch davon, dass die Ukraine den Krieg gewinnen kann. Er schloss nicht aus, sogar russische Kampfjets zu bombardieren. Dieses Treffen verlief jetzt ohne Ergebnis und ohne Zusagen für die Ukraine. Können Sie sich diesen Sinneswandel von Trump erklären?
Jäger: Trump hat gegenüber der Ukraine schon alle möglichen Positionen eingenommen. Von Selenskyj ist ein „Diktator ohne Wahlen“ bis zu "die Ukraine kann ihre Gebiete zurückerobern." Er erhält sich damit maximale Handlungsfreiheit. Denn Trump hat keinen Plan, den Krieg zu beenden, und keine Strategie, Russland zu Kompromissen zu bewegen. Trump meint, das liefe alles zwischen „Wladimir und mir“. Das ist zwar Unsinn, doch kann niemand Trump davon abhalten, so zu handeln. Insofern gibt es nicht einen Sinneswandel bei Trump, sondern ist jede Position jederzeit möglich. Nur eines ist bisher konstant: Am Ende bewundert Trump Autokraten, in diesem Fall Putin und schreckt vor einer harten Politik gegenüber Russland zurück.
Wird das Treffen in Budapest mit Trump und Putin mehr bringen als der Gipfel im August in Alaska?
Jäger: Nein. Jetzt ist es wieder wie vor Alaska. Trump fordert einen Waffenstillstand und Putin sagt: „nein“. Nach Alaska sagte Trump dann, dass ein Waffenstillstand keine Voraussetzung für Gespräche sei. Die angedrohten harten Sanktionen sind bis heute nicht verhängt worden. Eine Vereinbarung könnte es in Budapest nur geben, wenn die Ukraine zur Kapitulation bereit wäre. Das ist sie nicht. Die Kapitulation der Ukraine ist aber das Ziel, das Russland von Beginn an verfolgt und von dem es nicht abrücken wird, solange es dazu nicht gezwungen wird.